GASTKOMMENTAR von Mag. Sylvia Neubauer 

Menschen, die sich stets an der Grenze des Zusammenbruchs befinden, die dennoch funktionieren und hinter einem Lächeln ihre Daueranspannung kultivieren, können in ein Burn-on* geraten. Dieses beschreibt den schmalen Grat zwischen Dauerstress und Burn-out. Burn-on-Betroffene brennen nicht völlig aus. Vielmehr brennen sie immer weiter – gefangen in einem Zustand chronischer Belastung.    

Arbeit und Alltag stellen unaufhörlich Anforderungen an uns, denen wir alle gerecht werden wollen. Im Grunde genommen steckt in jedem von uns ein kleiner Perfektionist. Daran ist zunächst auch nichts verkehrt: Niemand würde in ein Flugzeug einsteigen wollen, das nicht mit größter Perfektion gebaut worden ist. Die Gefahr dabei ist, dass wir uns auch mit Perfektion in den roten Bereich hineinarbeiten können. Wenn wir uns von einer Aufgabe zur nächsten hangeln, geraten wir sukzessive in eine Art Endlosschleife der Anspannung. Burn-on benennt das, was viele an sich selbst wahrnehmen: Einen permanenten Stresszustand, ein immerwährendes Ignorieren eigener Bedürfnisse – ein Leben am Akkulimit. Es lastet einfach zu viel auf den eigenen Schultern. Viel zu viel.  

Aber, und das ist der große Unterschied zum völligen Ausgebrannt-Sein: Burn-on-Betroffene haben noch die Kraft weiterzumachen. Über Monate. Manchmal auch über Jahre. Es fühlt sich an wie eine Fahrt mit 180 km/h über die Autobahn – wie ein Rennen, bei dem man nicht anhalten kann. Weil auch die Bremsen defekt sind und notwendige Regenerationsphasen zu kurz kommen. Selbst Entspannungsmaßnahmen bieten Betroffenen keine wirkliche Erholung mehr. Vielmehr dienen sie nur noch dazu, funktionstüchtig zu bleiben.  

Was sind Alarmzeichen?

Zum einen, wenn wiederholt Konzentrations- und Schlafstörungen auftreten. Zum anderen, wenn sich die Gedanken auch in der Freizeit nur noch um die Arbeit drehen. Problematisch wird es dann, wenn der Selbstwert von den hohen Maßstäben abhängt, die man an sich selbst stellt. Wenn innere Stimmen wie „Streng dich an“ oder „Mach es allen recht“ das Handeln in eine, eigene Grenzen überschreitende Richtung diktieren. In eine Einbahnstraße. 

Burn-on-Betroffene sind häufig erfolgreich

Und auch nach außen hin sind diese Menschen meist positiv gestimmt. Oft signalisieren sie ihrer Umwelt: „Mir geht es gut.“ Obwohl tief in ihnen selbst die Gewissheit wächst, dass eigentlich rein gar nichts in Ordnung ist. Wer keinen Stolz für seine Leistungen empfindet, wer nicht mehr genießen kann und an seinen Interessen keine Freude mehr hat, der darf und soll Unterstützung annehmen. Wegbegleiter können gleichermaßen enge Freunde wie professionelle Helfer sein. Im Erzählen und Reflektieren können sich neue Möglichkeiten auftun. Letztendlich geht es darum, dass wir heute unsere Ressourcen von morgen wahren... 

*Burn-on ist derzeit keine anerkannte Krankheit – vielmehr handelt es sich um eine Begrifflichkeit, die der Psychiater Prof. Dr. Bert te Wildt und der Psychologe Timo Schiele geprägt haben.  

Buchtipp

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Buch von Sylvia Neubauer und Katharina Maria Burkhardt "Glück ist Hormonsache - Der natürliche Weg, um Körper und Seele in Balance zu bringen und psychischen Leiden gezielt entgegenzuwirken. Ganzheitliche Hilfe bei ADHS, Angstzuständen, Schlafstörungen, Burn-out und Depressionen". Das Buch erscheint Ende Jänner 2024.

Mag. Sylvia Neubauer  | Freie Medizinjournalistin und Autorin 

Kontakt: neubauer_sylvia@hotmail.com