Weiterbildungspflicht

GASTKOMMENTAR von Dr. Michael Haider
Müssen sich Arbeitnehmer:innen fort- und weiterbilden und wer kommt dafür auf?
Die Arbeitswelt befindet sich in einem raschen Wandel (man denke nur an Chat GPT, DeepSeek etc). Damit ändern sich aber auch die Anforderungen an Arbeitnehmer:innen und Unternehmen. Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen stellen einen unverzichtbaren Faktor dar, weiter am wirtschaftlichen Geschehen teilnehmen zu können. Daher stellt sich die Frage, ob Unternehmen ihre Arbeitnehmer:innen dazu verpflichten können, an entsprechende Maßnahmen teilzunehmen, und wer dafür aufkommen muss. Vorweg eine kurze begriffliche Einordnung: Fortbildung soll die Berufsausübung „lege artis“, d.h. nach den Regeln der Kunst, gewährleisten; sie dient der Erhaltung bzw. Aktualisierung von bereits erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse (zB Seminar zu neuen Entwicklungen). Weiterbildungen führen demgegenüber zum Erwerb zusätzlicher Qualifikationen, Kenntnissen und/oder Fähigkeiten im Rahmen des auszuübenden Tätigkeitsbereichs, zB die Vertiefung von Kenntnissen in einem Spezialbereich wie der Pflege. Ausbildungen sind schlussendlich Maßnahmen, die zu einer Erweiterung des Tätigkeitsbereichs, also zum Erwerb neuer Grundbefähigungen, führen.
Pflicht zur Fort- und Weiterbildung für Arbeitnehmer:innen?
Bereits 1978 betonte der OGH in einem Urteil die Verpflichtung eines Versicherungsvertreters, einen in der Versicherungsbranche „üblichen“ Fortbildungskurs zu absolvieren, um „up to date“ zu bleiben. Die Fortbildung wurde dabei als Teil der arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers angesehen. Für die Praxis ist daraus abzuleiten, dass beispielsweise Kurse, die erforderlich sind, weiterhin nach den Regeln der Kunst arbeiten zu können, arbeitsvertraglich verpflichtend sind. Diese Verpflichtung ergibt sich aus den allgemeinen Pflichten der Arbeitnehmer:innen. Eine konkrete Vereinbarung dieser Pflicht wird dafür gar nicht erforderlich sein (kann aber natürlich nicht schaden). Ein Großteil der Meinungen im juristischen Diskurs sieht auch Kurse, die im Rahmen berufsrechtlicher Fortbildungsverpflichtungen zu absolvieren sind, als arbeitsvertraglich verpflichtend an.
Der Oberste Gerichtshof beurteilt diesen Themenbereich derzeit differenziert. Zu unterscheiden ist zwischen Fort- und Weiterbildung. Ist eine Schulungsmaßnahme im Rahmen der Fortbildung arbeitsvertraglich als verpflichtend anzusehen, hat das zur Folge, dass Arbeitgeber diese Maßnahmen einseitig anweisen können. Weigern sich die Arbeitnehmer:innen, können arbeitsrechtliche Maßnahmen, in letzter Konsequenz bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gesetzt werden.Weiterbildungen werden hingegen nur in Sonderfällen einseitig angeordnet werden können, beispielsweise dann, wenn ein Unternehmen sein Geschäftsfeld derart gravierend umstellt, dass die bisherigen Kenntnisse der Arbeitnehmer:innen nicht ausreichen würden, um überhaupt weiterhin tätig sein zu können. Die individuellen Umstände der Arbeitnehmer:innen (Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit) sind dabei allerdings zu berücksichtigen (Zumutbarkeitsabwägung).
Kostentragung und Arbeitszeit
Seit März 2024 gilt eine in der Praxis äußerst wichtige gesetzlich Bestimmung zur Kostentragung von Schulungsmaßnahmen. Maßnahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung, die aufgrund des Gesetzes, kollektiver Rechtsquellen (Kollektivvertrag) oder des Arbeitsvertrags „Voraussetzung für die
Ausübung einer arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit“ sind, werden nunmehr in jedem Fall als Arbeitszeit angesehen. Weiters müssen die dafür anfallenden Kosten vom Arbeitgeber getragen werden (§ 11b AVRAG). Der Umfang und das Ausmaß der sich aus dieser Bestimmung ergebenden Verpflichtungen der Unternehmen ist derzeit allerdings noch sehr umstritten. Diskutiert wird insbesondere die Frage, wann eine Schulungsmaßnahme als „Voraussetzung“ für die Ausübung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit gilt. Ein Teil der juristischen Meinungen geht dahin, dass dies nur dann der Fall sein soll, wenn an die Nichtdurchführung der Maßnahme unmittelbare Konsequenzen geknüpft sind (zB Verlust der Berufsberechtigung). Andere Meinungen gehen wesentlich weiter. Demnach sollen alle Maßnahmen gemeint sein, die dafür erforderlich sind, Arbeitnehmer:innen die Ausübung der Arbeit „nach dem Stand der Zeit“ zu ermöglichen. Dies käme den Unternehmen entsprechend teurer. Relevant ist die richtige Auslegung deswegen, weil von den Grundsätzen des § 11b AVRAG nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer:innen abgewichen werden darf. Unabhängig von diesem Meinungsstreit kann aber festgehalten werden, dass dann, wenn sich die Fort- und Weiterbildung als Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag ergibt, seit jeher die Ansicht vertreten wurde, dass der Arbeitgeber die Kosten dieser Schulungsmaßnahme tragen muss. Ob davon (außerhalb von § 11b AVRAG) durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden kann, ist strittig, wird aber wohl nur dort zulässig sein, wo Arbeitnehmer:innen ein (weit) über dem Kollektivvertrag liegendes Gehalt ins Verdienen bringen.
Davon zu unterscheiden ist die Frage der Zulässigkeit einer Vereinbarung des Rückersatzes von Ausbildungskosten durch Arbeitnehmer:innen (§ 2d AVRAG). Eine solche soll nach der Rechtsprechung auch dann zulässig sein, wenn die Schulungsmaßnahme arbeitsvertraglich verpflichtend ist. Ob ein Ausbildungskostenrückersatz im Bereich des neu geschaffenen § 11b AVRAG zulässig ist, ist allerdings äußerst umstritten. Bis diese Frage durch die Gerichte geklärt ist, empfiehlt sich für Unternehmen jedenfalls, weiterhin auch für Schulungsmaßnahmen, die für die arbeitsvertragliche Tätigkeit vorausgesetzt werden müssen, eine entsprechende Rückersatzvereinbarung abzuschließen.
Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung sind weiters dann, wenn sie arbeitsvertraglich verpflichtend sind, als Arbeitszeit zu werten. Das ist insbesondere für Schulungsmaßnahmen am Wochenende relevant. Für solche Fälle besteht regelmäßig derzeit keine gesetzliche Ausnahmen vom Verbot der Wochenendarbeit. Klar ist jedenfalls, dass diese Arbeitszeit zu bezahlen ist. Anders schaut es aus, wenn eine Maßnahme der Weiterbildung vom Arbeitgeber lediglich finanziell unterstützt wird; liegen diese im Wesentlichen im Interesse der Arbeitnehmer:innen, kann von den beschriebenen Grundsätzen abgewichen werden.
Resümee
Ganz leicht zu durchblicken sind also die teils widersprüchlichen Regelungen zu Fort- und Weiterbildung nicht. Dies führt zu Unklarheiten, insbesondere bei Fragen der Kostentragung und der Bewertung als Arbeitszeit. Die Gerichte werden hier allerdings wohl in absehbarer Zeit Klarheit schaffen.
Über Michael Haider

Dr. Michael Haider ist Partner und Rechtsanwalt bei der Kanzlei HAIDER | OBEREDER | PILZ Rechtsanwält:innen GmbH. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Arbeitsrecht, speziell in den Bereichen individuelles und kollektives Arbeitsrecht, arbeitsrechtliche Beratung bei Umstrukturierungen sowie Prozessführung. Nach seinem Studium an der Universität Graz, wo er auch als Universitätsassistent tätig war, sammelte er umfassende Erfahrung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Obersten Gerichtshof. Seit 2022 ist er Partner bei HAIDER | OBEREDER | PILZ und berät Unternehmen und Institutionen in allen arbeitsrechtlichen Belangen.