GASTKOMMENTAR von Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Krautzer

Über den Umgang mit herausfordernden Realitäten

Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, schnell, laut und marktschreierisch zu agieren. Dazu gehört, Unpässlichkeiten als Krise und Abweichungen vom Alltag als Untergang zu bezeichnen. Dabei wäre es gar nicht notwendig, Krisen nur negativ zu sehen. Das aus dem Griechischen vom Arzt Hippokrates entlehnte Wort Krise bedeutet eine Scheidung am Höhepunkt eines Krankheitsverlaufs, eine Weggabelung, die zum Besseren oder zum Schlechteren führt. Eine Krise ist aber auch eine Offenlegung von unterlegten Fehlentwicklungen. Ein Indikator wie ein Schmerz, der zeigt, dass ein „Mehr vom Selben“ Schaden zufügen wird. Man könnte so etwas auch dankbar aufnehmen.

Zugegeben, derzeit schlagen ziemlich viele Indikatoren gleichzeitig an. Ist das außergewöhnlich? Nein! Unzählige Krisen unterschiedlichster Art sind integraler Bestandteil der Geschichte. Man hat das in Europa seit den 1990er Jahren nur zunehmend verdrängt und die Menschen in der Illusion dauerhafter Stabilität gelullt. Schulden dienten dabei als Morphium gegen den Veränderungsschmerz. Aber haben wir derzeit überhaupt eine Krise? Eindeutig Ja!, denn das Gewohnte trägt nicht mehr, es ist von Staaten, Bürger:innen und Unternehmen gleichermaßen in Frage zu stellen, neue Wege sind zu finden. Aber, und das ist das Tröstliche, historisch waren auch die schwersten Krisen niemals eine Apokalypse, sie konnten am Ende alle (zumindest im Sinne des Ganzen) überwunden werden. Letzte Generation: Fehlanzeige.

Sind Krisen ein Naturereignis, das uns sozusagen aus dem heiteren Himmel trifft?

Kann sein, sogar wortwörtlich, vom Meteor über den Vulkan, vom Beben über den Tsunami bis hin zur großen Pandemie, immer schon hat die Natur den Lauf der Dinge verändert. Viel öfter begegnen wir freilich Krisen, die sich über lange Zeit anbahnen und aufbauschen und deren Wirkung auf menschlichem Tun oder Unterlassen beruhen: Wirtschaftskrisen, politische Krisen, Kriege, soziale und technologische Umbrüche, Treibhausgase. Ein Krisenausbruch ist häufig die Folge von menschlicher Arroganz, Ignoranz und Hybris.

Bei Wirtschaftskrisen können wir 4 große Gruppen unterscheiden: Nachfrage- oder Angebotsschocks auf diversen Märkten (die einen wirken deflationär, die anderen inflationär), Crashes auf Finanzmärkten und Börsen (sehr oft auf Spekulationsblasen beruhend), Bankenzusammenbrüche (diese wirken erfahrungsgemäß am giftigsten) sowie Staatsschulden- und Währungskrisen (die begleiten uns seit Jahrhunderten treu wie ein Blindenhund). Eine dieser Krisen kommt selten allein, sie breiten sich in Wellen über lange Zeit aus und wehe, wenn sie gleichzeitig auftauchen, dann zerstören sie das ökonomische, das soziale und schließlich das politische Gefüge – wie die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre.

Anders gelagert, aber letztlich auch eine klassische Krise, sind technologische Umbrüche. Innovation hat das Potential zur „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter). Industrialisierung, Mechanisierung, Digitalisierung und zuletzt der Einsatz der sogenannten KI: sie alle zwingen zur Veränderung, schaffen Gewinner und Verlierer und prägen schließlich ganze Gesellschaften.

Eine schier unerschöpfliche Krisen-Quelle ist die Politik selbst. Gerade in den letzten Jahren haben wir jene Lektion wieder lernen müssen, die seit jeher die Geschichte der Menschheit bestimmt: die Leidenschaft der Macht hebelt am Ende jedes Rational der Ökonomie oder der Vernunft aus.

Aber wie gehen wir am besten mit Krisen um?

Weil die nächste Krise sicher ist, muss Krisenmanagement integraler Bestandteil unternehmerischen Handelns sein. Das bedeutet: Stabilität durch den Aufbau von Puffer (Eigenkapital), Arbeit an Alternativszenarien (Diversifikation) und die permanente Infragestellung der Linearität von Strategien und Businessplänen. Wenn die Krise dann an die Tür klopft, erfordert sie in jedem Fall erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit und rasche Entscheidungen („Aussitzen“ oder „Durchtauchen“ kann fatal sein!). Keinesfalls vergessen darf man auf die Aktivposition: neue Wege können sich öffnen, Innovationen greifen, Marktbereinigungen finden statt.

Jedenfalls ist in der Krise die mentale Ausrichtung entscheidend: schonungsloser Realismus gepaart mit einem festen Glauben an die Zukunft und den Willen zum Leadership. Die richtigen Menschen am richtigen Platz werden zum Schlüsselfaktor und es wäre sehr wichtig, jungen Teams Menschen mit Krisenerfahrung beizugeben.

Über Thomas Krautzer

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Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Krautzer ist Professor für wirtschaftliche Standortfragen und Standortentwicklung an der Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte. Seine Forschung verbindet wirtschaftshistorische Perspektiven mit strategischer Unternehmensentwicklung und legt einen besonderen Fokus auf regionale Standortanalysen und Entwicklungskonzepte.